Zeleke Eshetu lebt im Dorf Menejeba und nimmt an Erwachsenenbildungskursen teil.

Menejebas Musterschüler

Menejebas Musterschüler

Abgeschlossenes Projektgebiet Borena (2011 - 2023)

Warum Bücher lesen, wenn das Getreide reif ist? Im ländlichen Äthiopien war Bildung lange nicht erste Priorität. Rund die Hälfte der Bevölkerung über 15 Jahre kann daher nicht richtig lesen oder schreiben. In den Alphabetisierungskursen von Menschen für Menschen lernen Schülerinnen und Schüler aller Altersklassen das Alphabet, Grundrechenarten und nützliches Allgemeinwissen.

Zeleke Eshetu bittet zum Unterricht. Seine Frau und seine Kinder hocken sich vor ihn auf den staubigen Boden der Terrasse. „Lest bitte vor!“, fordert Zeleke sie auf. Er zeigt mit einem Stock auf ein Plakat mit der amharischen Silbenschrift, das an seiner Hauswand hängt. Die Familie antwortet zögerlich. „Ich kann euch kaum hören“, ermahnt Zeleke und mimt den strengen Lehrer.

Privatunterricht vom Vater und Ehemann: Zeleke Eshetu unterrichtet seine Familie im Lesen.
Zeleke Eshetu fördert die Lesefähigkeiten seiner Kinder.

Die zwei jüngsten Kinder kichern, stimmen dann aber in den Chor ihrer älteren Schwestern ein. Dass ihr Vater sie einmal im Lesen unterrichten würde, war lange völlig undenkbar. Bis vor wenigen Jahren konnte Zeleke selbst weder lesen noch schreiben oder rechnen. Der heute 42-Jährige brach die Schule nach der zweiten Klasse ab. Seine Eltern wollten, dass er sich als ältester Sohn um das Vieh der Familie kümmerte. „Damals habe ich mich gefreut“, gibt Zeleke zu. So musste er nicht stundenlang in dunklen Klassenzimmern sitzen und büffeln, sondern war den ganzen Tag an der frischen Luft. „Ich zog mit den Tieren über die Felder und sang mit den anderen Schafhirten lustige Lieder“, erinnert er sich.

Vom Feld ins Klassenzimmer

Doch nach und nach merkte er, was er verpasste. „Meine ehemaligen Freunde lasen Bücher, konnten zählen und rechnen“, sagt er. Selbst einige seiner jüngeren Geschwister konnten bald ihren Namen und ganze Sätze schreiben. Spätestens, als sie das Dorf Menejeba im zentraläthiopischen Hochland verließen, um zu studieren und später Lehrer, Händler oder Beamte wurden, bereute Zeleke, dass er sich dem Willen seiner Eltern nicht vehementer entgegengestellt hatte. „Ich fühlte mich schrecklich abgehängt.“

 

Wie Zeleke geht es vielen Menschen in Äthiopien. Laut letzten offiziellen Zahlen aus dem Jahr 2017 kann im Land die Hälfte der Bevölkerung über 15 Jahre noch immer weder richtig lesen noch schreiben oder rechnen. Vor allem in ländlichen Regionen galt Schulbildung lange als überflüssig. Jungs wurden, wie Zeleke, aufs Feld geschickt, Mädchen halfen der Mutter.

Projektgebiet Borena. Follow-up Story/ Ende des Projektgebiets Borena - Erwachsenenbildung. Zeleke Eshetu, 42, (pinker Turban), lebt im Dorf Menejeba und nimmt hier an Erwachsenenbildungskursen teil, die hier bis heute gegeben werden. Einst waren die Kurse von Menschen für Menschen inittiert worden.
Vom Schüler zum Lehrer: Zeleke unterrichtet seine Familie.

Oft waren die Eltern selbst Analphabeten. Der Mangel an Bildung setzte sich von Generation zu Generation fort. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, initiiert Menschen für Menschen Alphabetisierungskurse für Erwachsene, stellt Lehrbücher und Stifte zur Verfügung.

Unabhängig dank Bildung

Wer, wie einst Zeleke , überhaupt nicht lesen und schreiben kann, beginnt mit dem Grundkurs. Nach einem bestandenen Test wechseln die Teilnehmer zu den Fortgeschrittenen. „Rund 80 Prozent bestehen die Prüfung beim ersten Mal“, erzählt Beyene Tadesse stolz. Er ist in der Erwachsenenschule in Menejeba der einzige Lehrer. In einer selbstgezimmerten Holzhütte vermittelt er seinen Zöglingen nicht nur das amharische Alphabet, auch alltagsrelevantes Know-how, etwa über Landwirtschaft, Gesundheit und Familienplanung, steht auf seinem Stundenplan. „Bei mir erfahren sie Wissenswertes über Malaria, Menstruation und Düngemittel“, erklärt Beyene. Themen, die die Menschen hier bewegen.

Obwohl der Unterricht bereits kurz nach dem Morgengrauen beginnt, und er, wie alle Landwirte im Dorf, besonders zur Erntezeit viel zu tun hat, hat der Musterschüler noch keine Stunde verpasst. Auch zu spät kam er noch nie. Damit der Rest seiner Klasse ebenfalls pünktlich erscheint, hat sich Zeleke in Abstimmung mit Lehrer Beyene kleine Strafen für Zuspätkommende ausgedacht.

Projektgebiet Borena. Follow-up Story/ Ende des Projektgebiets Borena - Erwachsenenbildung Beyene Tadesse, 55, (Dashen Kappi), gibt die Erwachsenenbildungskurse in Menejeba.
Zeleke Eshetu freut sich, dass er durch die Erwachsenenschule endlich richtig lesen und schreiben kann.

„Sie müssen vor allen etwas vorlesen oder ihre Hausaufgaben vortragen“, sagt er und grinst schelmisch. Seine Disziplin hat sich bezahlt gemacht: Auf dem Markt kann ihn heute niemand mehr betrügen, er unterzeichnet eigenhändig Dokumente, schreibt ohne Hilfe mit dem Handy Nachrichten an Verwandte und liest in seiner Freizeit Gedichte. „Ich fühle mich endlich unabhängig und bin stolz, was ich alles gelernt habe“, sagt Zeleke. Doch noch wichtiger ist es ihm, seine eigenen Kinder früh zu fördern. „Ich tue alles dafür, dass sie eine gute Ausbildung erhalten“, sagt er. Seine größeren Töchter besuchen die neunte und die vierte Klasse. Die beiden Jüngsten werden bald eingeschult. Dank des Privatunterrichts durch ihren Vater können sie dann bereits ein paar Buchstaben lesen.

Veröffentlicht am 2. Februar 2024

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