
Walamagoles Wasserwunder
Abgeschlossenes Projektgebiet Borena (2011 - 2023)
Das Leben der Landwirtinnen und Landwirte im Projektgebiet Borena war lange sehr beschwerlich. Die spärliche Ernte reichte gerade zum Überleben und war vom Regen abhängig. Dank eines Bewässerungsprojekts von Menschen für Menschen gedeiht heute das ganze Jahr über Gemüse auf ihren Feldern. So ernähren sich die Bauernfamilien nun viel gesünder und ihr Einkommen hat sich durch den Verkauf der überschüssigen Ernte verbessert.
Ein Fluss belebt die Felder
Die Hoffnung kommt in Walamagole aus den Bergen. Als Fluss Laga Kora fließt sie die Hänge hinunter, mäandert schließlich in ein weites Tal. Dort steht Ednire Asefa breitbeinig über einem schmalen Bach. Er beugt sich hinunter, schiebt mit seinen Händen etwas Erde zur Seite – bis sich das Wasser zwischen seinen Füßen den Weg in Richtung eines Feldes bahnt.
„Reich mir mal den Spaten“, ruft er einem der drei Bauern neben ihm zu und ebnet dem Wasserlauf die letzten Meter zu den Kohlköpfen. Ednire, der sich aus einem Tuch einen Turban gegen die Sonne um den Kopf gebunden hat, lächelt zufrieden. Dass die Männer das ganze Jahr über Gemüse anbauen können, haben sie einem Bewässerungsprojekt zu verdanken.

Menschen für Menschen hat 2011 hier in Walamagole im Projektgebiet Borena das Projekt auf den Weg gebracht. Dafür wird der Fluss während der Regenzeit, wenn die Felder vom Niederschlag versorgt werden, in den Bergen durch einen kleinen Damm gestaut. In den trockenen Monaten wird das Wasser dann über Kanäle ins Tal gelenkt, in dem sich die Parzellen der Landwirte aneinanderreihen.
Ein Feld voller Chancen
„Wir starteten damals mit elf Hektar und siebzig Bauern“, erklärt Gosaye Legese. Er ist Leiter der Abteilung Nachhaltige Landwirtschaft in Borena. Nach und nach wurde das bewässerte Gebiet größer, immer mehr Landwirte kamen hinzu. Heute bewirtschaften über hundert Landwirtinnen und Landwirte auf einer Fläche von siebzig Hektar ihre Felder.
„Ich pflanze Mais, Kartoffeln, Kohl und Rote Beete an“, erklärt Ednire. „Aktuell sind meine Frühlingszwiebeln erntereif.“ Bevor die Stiftung in die Region kam, ihn und andere mit Saatgut versorgte und zeigte, wie sie dieses anbauen müssen, kannte Ednire die meisten seiner heutigen Gemüsesorten gar nicht.

Nicht einmal auf dem Markt in der Regionalhauptstadt Mekane Selam wurden sie angeboten. Früher baute er auf seiner Ackerfläche in Walamagole lediglich Weizen und die Zwerghirse Teff an. Seine Landwirtschaft war damals vom Regen abhängig, er konnte nur einmal jährlich ernten. Sein Getreide musste für ihn, seine Frau und die sechs Kinder reichen. Blieb etwas übrig, verkauften sie es auf dem Markt. Maximal 1.500 Birr, damals umgerechnet etwa 60 Euro, verdiente Ednire damit im Jahr. „Unser Leben war sehr hart“, sagt er und streicht sich über die kurzen, grauen Bartstoppeln.
Aufgrund der spärlichen Versorgung mit Lebensmitteln und dadurch einseitigen Ernährung, waren Kinder und Eltern früher mangelernährt und anfällig für Krankheiten. Und selbst wenn die Kinder gesund und fit genug waren, um zur Schule zu gehen, besuchten sie den Unterricht nur sehr unregelmäßig. Der Weg zur nächsten Bildungseinrichtung war weit und beschwerlich. „Die Kinder mussten barfuß laufen. Wir konnten uns keine Schuhe leisten“, erzählt der Landwirt.
Vertrauensvolle Zusammenarbeit
So wie Ednires Familie ging es vielen in Borena, bis Menschen für Menschen 2011 begann, sich in der Region im äthiopischen Hochland, etwa 580 Kilometer nördlich von Addis Abeba, zu engagieren. Die Bauern fuhren meist gerade ausreichend Ertrag ein, um zu überleben. Sie verwendeten minderwertiges Saatgut, kannten wie Ednire kaum Gemüseanbau. Ihre Böden waren durch Trockenheit, Abholzung und Überweidung erodiert und ausgelaugt. Nur knapp die Hälfte der Bevölkerung hatte damals Zugang zu sauberem Trinkwasser. Es mangelte an Schulgebäuden und Gesundheitszentren.
Die Stiftung unterrichtete daher Bauern in nachhaltiger Landwirtschaft, baute oder modernisierte Schulen und Krankenstationen, bildete medizinisches Personal aus und unterstützte die Frauen der Region mit Mikrokrediten, damit sie sich ein eigenes Einkommen, unabhängig von ihren Männern und der Landwirtschaft, erwirtschaften können.

Eines der ersten Projekte, das Menschen für Menschen in Borena umsetze, war die Bewässerung der Felder in Walamagole. Mitarbeiter gingen damals auf die Landwirtinnen und Landwirte zu, erzählten ihnen von dem Projekt. „Wir haben ihnen von Anfang an vertraut“, erinnert sich Ednire. „Wir hatten auch kaum eine andere Wahl. So schlecht ging es uns.“ Er und die anderen Landwirte halfen, Gruben für die Kanäle auszuheben. Sie gründeten außerdem ein Komitee, das sich um die gerechte Verteilung des Wassers auf die einzelnen Ackerflächen kümmerte. Es prüfte auch, ob das Wasser ausreicht, um die zu bewässernde Fläche zu vergrößern.
Lebensqualität durch Wissen und nachhaltigen Anbau
Die Beteiligung und das Vertrauen haben sich gelohnt: „Ich ernte mein Gemüse heute bis zu dreimal im Jahr“, erklärt Ednire. Mit dem Verkauf erreicht der Landwirt ein Jahreseinkommen von umgerechnet etwa 270 Euro. „Meine Kinder gehen alle zur Schule. In Schuhen!“, sagt er stolz. Selbst sein ältester Sohn, heute 30 Jahre alt, holte die Schule nach, als der Vater durch den Verkauf seines Gemüses mehr Geld erwirtschaftete. Entwicklungsberater und Sozialarbeiterinnen der Stiftung zeigten Ednires Familie, wie sie die Ernte sicherer lagern kann und versorgte sie außerdem mit einem holzsparenden Ofen. Ednires Frau erfuhr von ihnen, wie sie aus dem Gemüse reichhaltige Mahlzeiten kochen kann. „Dass wir uns gesund ernähren können, macht mich sehr glücklich“, sagt Ednire. Regelmäßig geben er und seine Frau ihr gelerntes Wissen an andere Landwirtinnen und Landwirte weiter. „Selbst Bauern aus weit entfernten Gegenden kommen zu uns.“
Als die Sonne sich langsam senkt und hinter einem der Hügel verschwindet, beendet Ednire seinen Arbeitstag. Für heute hat er ausreichend Zwiebeln geerntet. Gemeinsam mit seinem jüngsten Sohn, der ihm an diesem Nachmittag geholfen hat, macht er sich auf den Weg nach Hause. Er ist zufrieden, denn er weiß, dass sein Anbau auch morgen gedeihen wird, durch das Wasser aus den Bergen.
Veröffentlicht am 12. Mai 2023