Neu gegründete Bäckerei in Wore Illu

Handwerk in der Heimat

Handwerk in der Heimat

Abgeschlossenes Projektgebiet Wore Illu (2014 - 2023)

Im ländlichen Äthiopien fehlen Arbeitsstellen. Qualifizierte junge Frauen und Männer flüchten daher in die Hauptstadt Addis Abeba oder gar ins Ausland. Menschen für Menschen bietet Arbeitssuchenden eine Perspektive in ihrer Heimat und begleitet sie in die Selbstständigkeit – im Backhandwerk, der Elektrotechnik oder in der Gastronomie.

Veröffentlicht am 4. April 2023

Vom Straßenverkauf zur eigenen Backstube

Als die Sonne über den Horizont klettert und die Kleinstadt Wore Illu langsam zum Leben erwacht, sind Hawlet Assefa und ihre zwei Kollegen, Tamesgen Assefa und Sendaw Belate, bereits seit einiger Zeit auf den Beinen. Sie rühren Mehl, Wasser, Salz und Hefe zu einem Teig und formen daraus Brote. Hinter ihnen piepst der Ofen. Hawlet, die sich ihre Haare mit einem blauen Kopftuch aus dem Gesicht gebunden hat, zieht ein Blech goldgelber Laibe heraus. Die drei Jungbäcker müssen sich beeilen. Pünktlich zur Frühstückszeit wollen sie frisches Brot anbieten.

„Das nächste Blech bitte!“, ruft Hawlet und schiebt eine weitere Ladung in den Ofen. Dass die Anfang Zwanzigjährige einmal eine eigene Backstube führen würde, hätte sie nie gedacht. Sie verließ die Schule nach der 10. Klasse, nachdem sie die Prüfung für die weiterführende Schule nicht bestanden hatte.

Projektgebiet Wore Illu. neu gegründeten BäckerInnen-Gruppe in Wore Illu. Hawlet Assefa, 20 (buntes Kleid, Jeanshemd)
Hawlet Assefa bedient am Morgen ihren ersten Kunden.

Hawlet übernahm Gelegenheitsjobs, verkaufte Kaffee am Straßenrand, doch eine feste Arbeit fand sie nicht. Für das meiste mussten weiterhin ihre Eltern aufkommen. „Ich fühlte mich schrecklich abhängig.“

Ausweg Dubai?

Wie ihr geht es vielen jungen Äthiopierinnen und Äthiopiern, die nach dem Schulabschluss oder sogar einem Studium keine Anstellung finden: Immer mehr qualifizierten Menschen fehlt es an Jobs. Nach Monaten der Suche entschloss sich Hawlet daher, ihr Glück in Dubai zu versuchen.

„Meine Eltern waren dagegen.“ Doch das Mädchen setzte sich durch. „Ich fand eine Anstellung als Hausmädchen bei einer Familie.“ Hawlet kochte, putzte, wusch und bügelte für eine sechsköpfige Familie. Den Großteil ihres Verdienstes schickte sie in die Heimat. Doch der Job war hart. Zu groß waren die kulturellen Unterschiede.

Hawlet und ihre zwei Kollegen formen aus Teig Brotlaibe.

Zwischen Hawlet und der Mutter der Familie brach ständig Streit aus. „Sie hatte immer etwas an mir und meiner Arbeit auszusetzen.“ Nach sechs Monaten beschloss die Familie, die junge Äthiopierin loszuwerden. Statt ihr Gehalt zu zahlen, kauften sie ein Rückflugticket. „Auf der einen Seite war ich unendlich froh, nach Hause zu kommen“, erinnert sich Hawlet. „Gleichzeitig stand ich wieder ohne Arbeit und Einkommen da.“

Perspektiven schaffen

„Es ist schrecklich zu sehen, wie junge Menschen in ihrer ausweglosen Situation das Land verlassen und dann häufig physisch und psychisch krank zurückkehren“, sagt Wossenyelewem Mengistu. Der 60-Jährige leitet das Projektgebiet in Wore Illu, rund 300 Kilometer nordöstlich von Addis Abeba, im äthiopischen Hochland. Um den Arbeitssuchenden in ihrer Heimat eine berufliche Perspektive zu ermöglichen, bietet die Stiftung hier seit Ende 2019 verschiedene berufsausbildende Trainings an und unterstützt 600 Frauen und Männer bei der Gründung von kleinen Unternehmen wie Frühstückscafés, Gewürzläden oder Bäckereien. Finanziert wird das Programm, das neben Wore Illu auch in fünf weiteren angrenzenden Regionen in den nördlichen Projektgebieten durchgeführt wird, von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).

Menschen für Menschen setzt das Projekt in Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden um. Sie sind es, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer für die Kurse auswählen. Hawlet besuchte den 18-tägigen Workshop in Wore Illu und in der äthiopischen Hauptstadt vor knapp zwei Jahren.

Projektgebiet Wore Illu. neu gegründeten BäckerInnen-Gruppe in Wore Illu.
Das Mehl wird sorgfältig in der Schale abgewogen

Dort lernte sie wichtige Voraussetzungen des Bäcker-Handwerks, wie Hygiene in der Küche, und erfuhr außerdem, wie sie Einnahmen und Ausgaben kalkuliert. „Ich war überrascht, wie detailliert der Kurs war“, sagt sie heute. Neben dem Training organisierte die Stiftung für sie und die Kollegen die Backstube samt Gärautomat, Küchenmaschine und Ofen, sowie einen kleinen Laden. Dazu erhielten sie einen Grundstock an Zutaten als Starthilfe. Sieben bis zehn Birr kostet ein Brot je nach Größe. Aktuell verdienen die drei im Schnitt rund zehn Euro am Tag. An Markttagen, die zweimal wöchentlich stattfinden, durchaus das Doppelte.

Wirtschaftliche Perspektiven durch lokale Wertschöpfung

Nachdem das letzte Blech fertiggebacken ist, tragen sie die Brote in einem Korb über den sandigen Weg zu ihrem Shop, einen Straßenzug von der Backstube entfernt. Einige davon liefern sie direkt in das kleine Restaurant nebenan. Es wird von Gründerinnen geführt, die ebenfalls im Rahmen des Projekts ausgebildet wurden.

„So entsteht eine Wertschöpfungskette“, erklärt Gezehagn Ali. Der Mitarbeiter von Menschen für Menschen betreut die Gründerinnen und Gründer beim Unternehmensstart. Täglich besucht er die insgesamt zwei Dutzend jungen Frauen und Männer in den unterschiedlichen Betrieben im Stadtgebiet, hilft Probleme zu lösen und wirft einen Blick auf die Finanzen.

Projektgebiet Wore Illu. neu gegründeten BäckerInnen-Gruppe in Wore Illu. Hawlet Assefa, 20 (buntes Kleid, Jeanshemd), Tamesgen Assefa (kleinerer) und Sendaw Belate (größerer) sind Mitglieder der neu gegründeten BäckerInnen-Gruppe in Wore Illu.
Hawlet, Tamesgen und Sendaw sind stolz auf ihre Backgstube.

„Zusammen überlegen wir auch, wo sie ihre Produkte bewerben und verkaufen könnten.“ Für die Jungbäcker hat er das Brot einer Reihe weiterer Restaurants und Cafés angepriesen. Es gäbe zwar noch zwei andere Bäckereien in der Stadt, trotzdem blieben genug Abnehmer. „Unser Brot schmeckt natürlich auch am besten“, fügt er lachend hinzu.

Optimistisch in die Zukunft

Wore Illu liegt im nördlichen Teil des äthiopischen Bundesstaats Amhara, rund 300 Kilometer von der Grenze zu Tigray. Während des zweijährigen Bürgerkriegs fanden auch hier Kämpfe statt. Vieles wurde zerstört. Bis heute fällt häufig der Strom aus. „Wenn unser Bäckerei-Team dadurch nicht rechtzeitig liefern kann, verliert es Kunden“, bedauert Projektleiter Wossenyelewem. Wenn eine größere Bestellung ins Haus steht, übernachten die drei daher auch mal in der Backstube. So können sie sofort produzieren, sollte es mitten in der Nacht Elektrizität geben. „Wir sind ein tolles Team geworden“, sagt Hawlet und träumt von der Zukunft: Andere Brotsorten könnten sie backen. „Oder Kuchen und Kekse!“ Wie das geht, haben die drei im Training gelernt. Einen Teil des künftigen Gewinns könnten sie in passendes Equipment wie Kuchenformen investieren. „Es macht mich glücklich zu sehen, wie viel selbstbewusster Hawlet geworden ist“, sagt Gezehagn. Nach der langen Arbeitssuche und ihren Erfahrungen in Dubai habe sie endlich eine Aufgabe gefunden. Auch auf andere Schützlinge ist der Stiftungsmitarbeiter stolz. Zum Beispiel auf Bela Tesfaye, der sich über ein Mobiltelefon beugt, den Akku ausbaut und die Kontakte prüft.

Wie Hawlet verließ Bela die Schule nach der 10. Klasse, belegte an einem Berufsbildungszentrum in der Gegend Kurse in Elektrik. Im Anschluss reparierte er gemeinsam mit seinem Vater elektrische Geräte der Nachbarn. Doch nach dem plötzlichen Tod des Vaters schaffte er es nicht, allein weiterzumachen.

Projektgebiet Wore Illu. Bela Tesfaye, 24 (schwarzes T-Shirt) arbeitet in einem Handyreparatur-Geschäft in Wore Illu. Sein Chef heißt Eyouale Belate, 26
Technische Präzision – Bela und sein Chef bei der Arbeit

Der 25-tägige Kurs der Stiftung half ihm auf die Sprünge. „Vorher haben wir bei Problemen oft lang probiert, bis etwas funktionierte“, erklärt er. „Jetzt weiß ich genau, wie es geht.“ Nach dem Training stellte sich Bela in mehreren Betrieben vor, verdingte sich tageweise als Assistent. Seinem heutigen Chef, der in dem winzigen Laden neben ihm sitzt, gefiel sein Einsatz. Die beiden haben sich auf Reparaturen von Mobiltelefonen spezialisiert. „Da gibt‘s einen riesigen Bedarf“, erklärt Bela. Jede und jeder hier auf dem Land trage zumindest ein älteres Exemplar mit sich herum. „Die nutzen sich natürlich bei der Arbeit auf dem Feld ab.“ Umgerechnet rund 30 Euro pro Woche verdient Bela in dem Elektrogeschäft, in dem Kunden auch Ladegeräte, Festplatten und kleine Radios kaufen können. Irgendwann möchte er sich selbständig machen. Aktuell nutzt er seinen Verdienst, um einen Lehrgang in der nahgelegenen Stadt Dessie zu belegen. Dort lernt er, größere Geräte wie Kühlschränke zu reparieren Es ist Abend geworden. Bela räumt Lötkolben und Einzelteile eines Handys in ein Regal. Hawlet und ihre Kollegen putzen ihre Backstube. Morgen kehren sie wieder an ihren Arbeitsplatz zurück. In Wore Illu, ihrer Heimat.

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