Ein strahlender Junge.

Ein besserer Start für die Kinder von Sephera

Ein besserer Start für die Kinder von Sephera

Abgeschlossenes Projektgebiet Borecha (2007 - 2017)

Überall träumen Kinder von einer großen Zukunft. Doch im Dorf Sephera hatten sie bislang schlechte Karten: Sie hocken in Behelfsbauten im Halbdunkel auf lehmiger Erde, versuchen unter widrigsten Umständen zu lernen. Menschen für Menschen legt nun den Grundstein dafür, dass ihre Träume doch wahr werden können. Mit dem Bau solider und heller Klassenräume.

Veröffentlicht am 25. November 2019

Was ist ein Magnet? In Europa weiß je des Kind, dass sich bestimmte Metalle und Legierungen anziehen. Es gibt magnetisches Spielzeug, Kühlschrank-Sticker, Verschlüsse an Taschen: Genug Anschauungsmaterial für das physikalische Phänomen.

Behelfsräume der Grundschule von Sephera.
Taferi Woldearegay, 23, Lehrer und stellvertretender Direktor an der Grundschule von Sephera.

Im Dorf Sephera im Projektgebiet Borecha zeichnet Lehrer Taferi Woldearegay, 23, mit einem Stück Kreide ein langes Rechteck auf eine kleine, behelfsmäßige Tafel. Dann zeichnet er gebogene Linien, die von einer kurzen Seite des Rechtecks zur gegenüberliegenden kurzen Seite verlaufen: „So wirken die Magnetfeldlinien um einen Stabmagneten“, sagt er. Mit großen Augen übertragen die Kinder die Zeichnung in ihre Hefte. In Sephera haben die Viertklässler bis zu dieser Sachkunde-Stunde noch nie von Magnetismus gehört: Kühlschränke gibt es nicht, also auch keine magnetischen Sticker, und einziges Spielzeug sind aus Lumpen zusammengeschnürte Bälle.

Die Schüler hocken auf einem Stück Holz oder direkt auf dem Lehmboden in dem provisorischen Unterrichtsraum. Im Halbdunkel zählt man 66 aufmerksame Gesichter. Als Dach sind Plastikplanen über ein Holzgerüst geworfen, sie schützen notdürftig vor Wolkenbrüchen und der sengenden Sonne.

Ein mit Kindern gefüllter Behelfsraum der Schule von Sephera.
Die notdürftigen Behelfsräume dienen als Unterrichtsstätten für die Kinder von Sephera.

Die Wände verdienen diesen Namen nicht. Sie sind lediglich aus Hirse-Stängeln zusammengebunden. Draußen wirbeln Böen Staub auf und treiben ihn durch die Ritzen.

Radio als Fenster zur Welt

„Ich möchte gerne Journalistin werden“, sagt die zwölfjährige Merdia Jenus in der großen Pause: „Ich höre so gerne Radio!“ In Sephera sind Transistorradios das Fenster zur Welt. Zeitungen oder gar Internet gibt es nicht, Fernseher nur in wenigen Gasthäusern. „Ich liebe die naturwissenschaftlichen Fächer“, sagt der 13 Jahre alte Ali Muhammed. „Ich möchte einmal tief in die Forschung einsteigen und Dinge finden, die für die Menschheit wichtig sind. Am liebsten in der Medizin. So wie Aklilu Lemma.“

Lemma war ein äthiopischer Arzt, er betrieb Pflanzenforschung zur Bekämpfung der Bilharziose. Unter der Wurmkrankheit leiden unzählige Menschen in Afrika, viele sterben daran. “Wir haben so viele Krankheiten hier. Typhus etwa und Malaria”, sagt Sechstklässler Ali. “Deshalb ist Aklilu Lemma mein Vorbild.

Eine Kuh in einem ehemaligen Schulgebäude.
Eine Kuh spaziert in die alte Schule von Sephera und frisst aller Seelenruhe ein Schulheft.

Aber wie könnten die 352 Mädchen und 360 Jungen in den Klassen eins bis sechs an dieser Grundschule je vernünftig lernen? Wie sollten sie hier jemals eine Chance erhalten, ihre Träume zu verwirklichen? Während die Kinder in der Pause draußen herumtollen, nutzt das Vieh die Gelegenheit: Es gibt in den Unterrichts-Verschlägen weder Fenster noch Türen. Hühner spazieren hinein, auch eine Kuh. In aller Seelenruhe frisst sie ein Schulheft. Ein schlimmer Verlust für den Besitzer: Zuhause wird es Ärger geben. Ein Schulheft kostet 20 Cent – viel Geld für die Eltern.

Solide lernen

Staub und Vieh in den Räumen, das Hocken auf dem Boden in fensterlosen Verschlägen: all das wird bald der Vergangenheit angehören. Unweit der Behelfsschule hat Menschen für Menschen in den vergangenen Monaten unter Mithilfe der Bevölkerung neue Gebäude errichtet: insgesamt zwölf Klassenzimmer plus ein neues Haus für Lehrerbüros und Bücherei.

Neue Schule in Sephera.
In den neuen solide gebauten Schulgebäuden ist für die Kinder von Sephera endlich ein Lernen unter menschenwürdigen Bedingungen möglich.

Die Gebäude sind solide gebaut, mit Betonfundamenten, gemauerten Wänden und verzinkten Dächern. Lamellenfenster schützen vor dem Staub. Ab dem neuen Schuljahr im September werden die Kinder von Sephera hier lernen. Sie werden in ordentlichen Bänken sitzen und der Lehrer hat genug Platz für große Zeichnungen und Anschriebe: In die Wände der Klassenräume sind riesige Schreibtafeln eingelassen.

Die Schule von Sephera entsteht im Rahmen des ehemaligen Bildungsprogramms ABC-2015, mit dem Menschen für Menschen dabei half, die Startchancen für möglichst viele Kinder mit neuen Schulen zu verbessern. Immer noch können sechs von zehn Kindern in Äthiopien den Schulunterricht nicht altersgerecht besuchen – weil es in ihrer Nähe keine Schulgebäude gibt oder nur solche, in denen wie in den Verschlägen von Sephera das Lernen so schwerfällt, dass sie zu Hause bleiben und auf dem Hof helfen. Weil Karlheinz Böhm früh erkannte, dass alle Entwicklung über Bildung führt, hat Menschen für Menschen seit Bestehen der Organisation insgesamt 363 Schulen neu gebaut und bestehende Schulen erweitert. 114 Schulbibliotheken wurden errichtet und mit Büchern ausgestattet.

Ein Junge sitzt auf einem Holzstapel.

Noch ehe mit dem Bau einer Schule begonnen wird, werden Verträge mit der Regierung abgeschlossen, die den Erhalt und die Ausstattung der Schulen nach Fertigstellung regeln. So wird vermieden, dass langfristige Abhängigkeiten entstehen. Von Menschen für Menschen geschulte Komitees aus Gemeindevertretern, Eltern und Lehrern übernehmen die Verantwortung, die Schulen langfristig zu unterhalten und zu betreiben – so ist die Nachhaltigkeit der Bauten auf Jahrzehnte gewährleistet.

Die Schulen werden abends und in den Ferien auch genutzt, um Weiterbildungskurse für Erwachsene, wie zum Beispiel Alphabetisierungskurse, abzuhalten. Bislang haben rund 280.000 Frauen und Männer an solchen von der Stiftung organisierten Lese- und Schreibkursen teilgenommen, und damit auch ihr Selbstbewusstsein aufgewertet.

“Ich bin stolz auf mein Land. Wir haben so viele landwirtschaftliche Erzeugnisse. Kaffee etwa, oder Erdnüsse. Das Problem ist, dass wir diese Produkte zu billig in die reichen Länder exportieren müssen”, sagt Ali Muhammed, der wache Sechstklässler aus Sephera. “Wir müssen selbst Fabriken bauen und unsere Produkte veredeln und verarbeiten, dann erzielen wir bessere Preise.”

Schülerinnen und Schüler in einem Fenster.
Von links: Ali Adem, 10, Banschialem Gedefeyu, 10, und Merdia Jenus, 12, freuen sich auf die neuen Lernbedingungen.

Stolz sei er auch auf die Natur in seinem Heimatland: “Es gibt hier so viele wilde Tiere. Es ist wichtig, dass wir sie bewahren und unter Naturschutz stellen.”

Fabriken bauen, die Wirtschaft entwickeln, die Natur schützen: Das geht nur mit tüchtigen Ingenieuren, Ökonomen und Ökologen. Im Dorf Sephera ist mit der neuen Schule der Grundstein für eine gut ausgebildete junge Generation gelegt.

Go To Up