Ehepaar in eigenem Laden

Unternehmen Gleichberechtigung

Unternehmen Gleichberechtigung

Offiziell sind die Geschlechter in Äthiopien gleichberechtigt. Im Alltag aber sind Frauen stark von ihren Männern abhängig. Wer diesen Zustand verändern möchte, muss weibliche Rollenbilder radikal verändern. Im Projektgebiet Dano hat Menschen für Menschen eine Kreditgemeinschaft ins Leben gerufen, die vor allem Frauen mit Kapital für Gründungen ausstattet.

Die Kammer, die das Leben von Fanase Etana und ihrer kleinen Familie verändert hat, misst kaum mehr als zwei Quadratmeter. Vier dünne Wände, aus Holzlatten gezimmert und mit Regalböden versehen, auf denen sich Tüten und Kartons stapeln. Darüber ein Dach aus Wellblech. Eine schmale Eingangstür an der Seite und vorne, zur Straße hin, zwei Fensterläden, die Fanase morgens um sieben aufreißt. Mit einem Lächeln auf den Lippen steht die 22-Jährige dann hinter ihrem Verkaufstresen und wartet auf die ersten Kunden des Tages. Die Bauern und Hirten, die zu dieser Zeit an ihrem kleinen Laden vorbei auf die Felder und Weiden ziehen, machen zwar nur selten Halt. „Aber manchmal kommt eben doch einer und kauft Batterien oder ein Stück Seife“, sagt sie. Ein Geschäft verpassen will sie nicht. Dafür hat sie zu viel riskiert für ihren kleinen Laden.

Es fehlte an Allem

5.000 Birr, umgerechnet etwa 208 Euro, brauchte Fanase, um den Verschlag direkt vor ihrem Wohnhaus bauen zu lassen und einen ersten Schwung Waren einzukaufen: Linsen, Nudeln, Salz und Zucker. Und ein paar Produkte, die sich die Menschen hier manchmal gönnen. Bonbons etwa. Oder kleine Tüten mit Weihrauch, der in Äthiopien zur Zeremonie der Kaffeezubereitung gehört.208 Euro: ein Betrag, den viele Menschen in Deutschland gedankenlos auf einer einzigen Shoppingtour ausgeben.

In Äthiopien hingegen stellt er für die große Mehrheit der Bevölkerung ein kleines Vermögen dar. Bis zu vier Monate schuftet ein Gelegenheitsarbeiter für so viel Geld – ohne die Möglichkeit, Rücklagen zu bilden. Wer die Summe aber in der Hand hält, dem kann sie zum Start in ein neues Leben verhelfen. „Das Geld, das ich jetzt verdiene, gibt uns ein wenig Sicherheit“, sagt Fanase.

Frau zeigt ihren holzsparenden Ofen

Ihr Geschick als Händlerin hatte sie schon unter Beweis gestellt, als sie noch keine Ladenbesitzerin war. Immer mittwochs und samstags zog sie auf den Markt, breitete eine Plane aus und verkaufte zwischen zahlreichen anderen Frauen Pfefferschoten und ein rotbraunes Pulver, das in keiner äthiopischen Küche fehlen darf: Mit ihm bereitet man den würzigen Kichererbsenbrei „Shiro“ zu. „Auf dem Markt habe ich aber kaum verdient“, sagt Fanase.

Und so musste die Familie sich stets darauf verlassen, dass Fanases Mann Zewdu, der zu Hause mit einer alten Nähmaschine Kleidung fertigt, ändert und flickt, genug Aufträge erhält. Aber das Geld habe nie gereicht, sagen die Eheleute. Am meisten tat es ihnen weh, ihre Kinder – die fünfjährige Nahol und den einjährigen Kena – nicht gut ernähren zu können. Viel zu oft füllten bloß das traditionelle Fladenbrot Injera und der Shiro-Brei die Mägen der vierköpfigen Familie. Ein eintöniger Speiseplan, dem es an wichtigen Mineralien und Spurenelementen fehlt, was zu Mangelernährung führen kann.

Rollenbilder verändern

Der Wandel im Leben von Fanase und ihrer Familie begann vor etwa einem Jahr mit einer Versammlung der lokalen Mikrokreditgemeinschaft. Wer eine tragfähige Geschäftsidee vorweisen könne, habe die Chance, einen Kredit zu erhalten, erklärten die Vertreterinnen der Organisation, die im April 2016 von Menschen für Menschen ins Leben gerufen worden war. „Viele aus dem Dorf waren interessiert“, erinnert sich Fanase. Aber dann entwickelten nur wenige eine Idee. Fanase war eine von ihnen. „Ich sah meine Chance und bewarb mich.“ Ihr Hauptargument war ihr Standortvorteil: Das Haus von Fanase und ihrem Mann Zewdu liegt direkt an einer der staubigen Pisten, die aus dem Dorf Kara aufs Land und zu den umliegenden Siedlungen führen.

Viele Marktleute etwa, die zweimal in der Woche mit ihren Waren aus der Umgebung anreisen, kommen zwangsläufig hier vorbei. Zwar leben die meisten Menschen auf dem Land vor allem von den Erträgen ihrer eigenen Felder. Doch auch sie benötigen hin und wieder etwas aus Läden wie dem von Fanase. Ob ein Säckchen Zucker oder ein Kilo Linsen. Ob einen Kugelschreiber oder ein Stück Handseife: Fanase führt alles, was Kunden in Kara nachfragen. Noch ein Vorteil: Im Ort gibt es gerade mal fünf kleine Läden. In der Umgebung siedeln aber rund 3.000 Haushalte.

Hinzu kommt die gute Lage an der Straße. „Wir waren uns schnell sicher, dass sie Erfolg haben würde“, sagt Aster Tefera. Als Leiterin der Abteilung „Gesellschaftsentwicklung und Einkommen“ betreut sie das Mikrokreditprogramm von Menschen für Menschen in der Projektregion Dano. Sie war schon dabei, als die Stiftung die Gründung der Mikrokreditvereinigung dort anschob. Heute zählt diese rund 50 Mitglieder und benötigt keine finanzielle Unterstützung mehr. Die Mittel für Darlehen bestreitet sie jeweils aus den Zinsen und der Tilgung laufender Kredite. 941 Frauen haben seit Projektbeginn in Dano bereits mit Unterstützung der Stiftung einen Mikrokredit aufgenommen.

Ein besonderer Fokus der Arbeit von Aster Tefera liegt in der Förderung von Frauen. „Wir wollen weibliche Rollenbilder verändern, indem wir Frauen unabhängiger von ihren Männern machen“, erklärt sie. Die Gleichberechtigung der Geschlechter ist zwar in der äthiopischen Verfassung verankert. Im Alltag aber prägen Benachteiligung, Bevormundung bis hin zu Gewalt das Leben vieler Frauen. Vor allem in ländlichen Regionen, wo rund 85 Prozent aller Menschen leben, sind die ungleichen Geschlechterrollen fest verwurzelt. Neben der Erziehung der Kinder verrichten viele Frauen hier körperlich anstrengende Arbeiten. Sie helfen auf dem Feld und schleppen große Bündel Feuerholz oder schwere Wasserkanister über viele Kilometer herbei. Über ein eigenes Einkommen aber verfügen sie in der Regel nicht.

„Ich war eine gute Schülerin und wäre gerne zur Universität gegangen“, sagt Fanase. Doch nach der 10. Klasse fand ihre Schulbildung ein jähes Ende. Die Eltern hatten schon ihren älteren Bruder zur Universität gehen lassen. Ein Studium für ein weiteres Kind zu bezahlen, hätten die Kleinbauern sich schlicht nicht leisten können.

Portrait einer Frau
Aster Tefera betreut als Leiterin der Abteilung “Gesellschaftsentwicklung und Einkommen” das Mikrokreditprogramm im Projektgebiet Dano.

Also verlief Fanases Leben bislang so, wie das der meisten Frauen in den ländlichen Regionen Äthiopiens: Sie heiratete und gebar bald ihr erstes Kind. „Ich hatte aber stets das Gefühl, meine Talente nicht nutzen zu können“, sagt sie. „Ich konnte schon immer gut rechnen und schreiben.“ „Fanase hat eine schnelle Auffassungsgabe. Und sie ist ehrgeizig“, sagt Aster. Ihre Aufgabe ist es, die Kreditnehmerinnen von der ersten Idee bis zur Rückzahlung der letzten Rate zu begleiten.

Zunächst prüft sie das Durchhaltevermögen der Bewerberinnen mittels einer Sparauflage: Wer einen Kredit möchte, muss über mindestens sechs Monate monatlich 20 Birr, also rund 80 Eurocent, zurücklegen. Ein Betrag, den auch arme Familien verschmerzen können. Zugleich aber ein Gradmesser für Willenskraft. Zudem absolvieren die Bewerberinnen ein kaufmännisches Grundlagentraining. „Wir wollen den Erfolg der Gründungen sicherstellen“, sagt Aster. Schließlich schaffe das Geld erstmal die nächste Abhängigkeit: Fanase zum Beispiel muss ihren Kredit von 5.000 Birr plus 7,5 Prozent Zinsen innerhalb von zwei Jahren zurückzahlen.

Traum von Unabhängigkeit

Am anderen Ortsende von Kara sitzt Bachani Munduma in einer Hütte mit Wänden, durch die der Wind zieht, und träumt davon, ganz allein für sich und ihre Kinder sorgen zu können. Zwei Männer haben die 30-Jährige verlassen. Sie blieb mit drei Mädchen und einem Jungen zurück. Nach der zweiten Trennung lebte sie mit den Kindern zunächst wieder bei ihren Eltern. Dann bauten die ihr ein einfaches Häuschen am Rand ihres Grundstücks. Bachani hilft dem Vater auf dem Feld. Der versorgt sie im Gegenzug mit dem Nötigsten an Getreide.

Ein wenig Geld verdient sie zudem mit ihrer kleinen „Hausbar“, die stets am frühen Abend öffnet: Im Halbdunkel serviert sie in ihrem ärmlichen Häuschen den Männern, die vom Feld kommen, das traditionelle Bier „Tella“. Bachanis „Brauerei“ befindet sich hinter ihrem Haus: Ein Feuer und allerlei Kessel und Krüge stehen hier, mit deren Hilfe sie das Bier herstellt. „Aber was ich produziere, reicht nicht, um davon leben zu können“, sagt Bachani.

Hausbrauerei
Hausbrauerei: Bachani Munduma produziert in ihrem Hinterhof das traditionelle Bier "Tella".

Sie hat aber eine Idee, wie es reichen könnte: „Wenn ich das Haus ansehnlicher gestalten, Tische und Bänke kaufen und meine kleine Brauerei besser ausstatten würde, könnte ich meinen Umsatz erhöhen.“ Also hat auch Bachani sich um einen Kredit beworben. „5.000 Birr würden mir reichen“, sagt sie.

Die geforderten eigenen Ersparnisse hat sie bereits vorgelegt. Der nächste Schritt ist das Kaufmannstraining. Aster, die Projektverantwortliche, besucht Bachani regelmäßig, um mit ihr über ihre Pläne zu sprechen. Sie weiß, dass Bachanis Bier beliebt ist im Dorf. Die Geschäftsidee klingt plausibel und umsetzbar. „Sie ist zielstrebig“, sagt Aster. „Das ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für einen Kredit.“

Im Halbdunkel der Hütte, ein wenig hinter der Mutter, steht Guddo, ihre älteste Tochter. Die 15-Jährige kommt jetzt in die 8. Klasse. Sie ist eine gute Schülerin. „Sie möchte weiter zur Schule gehen“, sagt Bachani. Die einzige Möglichkeit: Guddo müsste in die nächstgrößere Stadt ziehen, Bachani müsste ihr ein kleines Zimmer und den Lebensunterhalt finanzieren. Was bis vor Kurzem undenkbar schien, ist jetzt in greifbare Nähe gerückt. „Wenn ich den Kredit erhalte und das Geschäft erstmal läuft, sollen alle meine Kinder die Ausbildung wählen können, die sie sich wünschen.“

Mutter und Tochter
Go To Up